Demut und Fleiß der russischen Nonnen



Die Wiedergeburt der othodoxen Spiritualität zieht junge Frauen an. Dabei ist die Ikonenmalerei auch eine Weg zur Moderne - nur westlich soll die Kunst nicht sein. Von Kerstin Holm, FAZ, 1. April 08, Nr. 76, Seite 42

Ein Kloster ist in den Rußlands Weiten immer auch eine wehrhafte Festung. Im moskaunahen Kolomna, wo hohe Mauern des Neu-Golutuwin-Nonnenkloster beschirmen, sammelte Ende des vierzehnten Jahrhunderts der Moskauer Fürst Dmitri für die Schlacht gegen Tataren-Chan Mamal seine Truppen. Dmitri hatte den Segen seines Beichtvaters, Abt Sergius,(siehe unten: Illustrierte Chroniksammlung aus dem 16. Jahrhundert, St. Petersburg) sowie, aus dessen Klosterbruderschaft, zwei hünenhafte Mönche dabei, die unter der Kutte Kettenhemden und Schwerter trugen.  Unter Dmitri, dessen Reiterstandbild unweit des Konvents prangt, errangen die Russen einen ersten Sieg, der dem Heerführer den Beinamen Donskoi einbrachte, die meisten seiner Krieger freilich, auch einen der Kampftmönche, das Leben kostete.

Heut besiegen die hundert Nonnen von Kolomna, deren Gebete, Klosterwirtschaft, Waisen- und Krankenbetreuung für die Welt draußen Vorbild und Stütze sind, das Böse in den eigenen Herzen. Davon ist Äbtissin Xenia überzeugt. "Ja, wir sind Krieger" verkündet Schwester Anna, deren Gestalt ein schwarzes Pelerinengewand einhüllt, wobei sie die den gewebten  Rosenkranz durch die Finger gleiten läßt. "Unsere Waffe ist Gottes Wort", erklärt die Himmelsbraut. Vor zwölf Jahren besuchte Anna, die damals noch Ija hieß und Romanstik studierte, das Kloster in den Semesterferien. Damals eröffnete sich der atheistisch erzogenen Ija die "vertikale Dimension". Sie entschied sich für den Gottesdienst als Lebensform. Dazu gehört in Kolomna auch, daß immer, wenn die Kirchenliturgie pausiert, auch nachts, zwei Nonnen im Schichtdienst Gebete und Psalmen sprechen. "Immerwacher Psalter" (Neusypnyj psaltyr) heißt die daueraktiviert die russische Erde schützende Luftabwehr.



Das Neu-Golutwin-Kloster ist der älteste und zweifellos progressivste Gotteshort für Frauen im neuen Rußland. Als Äbtissin Xenia, die als Irina Saizewa in Moskau Journalistik studierte, im Perestrojka-Jahr 1988 mit den ersten Nonnen einzog, war die Hauptkirche eine verwahrloste Mechanikerwerkstatt. Vom Zellentrakt standen nur Ruinen. Dank des Fleißes der Nonnen, zahlreicher Pilger, aber auch der Unterstützung  Moskauer Großkonzerne hat die liebevoll, doch angenehm spartanisch renovierte Anlage inzwischen vier geweihte Kirchenräume, einen Ausstellungssaal, eine Bibliothek. Mütterchen Xenia, der eine  verwandte Kunstexpertin die Liebe zur russischen Avantgarde mitgab, will in Kolomna sogar ein Museum für zeitgenössische Kunst einrichten - ein Vorhaben , das in dem konservativen Nest vielleicht nur eine Klosterchefin umsetzen kann.  Jetzt schon lädt die Äbtissin, die nach eigenem Bekenntnis durch die Kunst zu Gott fand, Künstler und Naturwissenschaftler zu Konferenzen in die Einsiedelei.
Getagt wird im altehrwürdigen Säulengewölbe, das Mütterchen Xenias schwarze Engel zum Konferenzraum umrüsten. Der Moskauer Mathematiker Alexej Parschin spekulierte hier jüngst über die Kreisbewegung der Zeit und die hierarchische Ordnung des Raumes. Der Komponist Wladimir Martynow beklagte den Verlust der Frömmigkeit, der, nach der europäischen, auch die russische Kultur zerstöre. Xenia, die Äbtissin, sieht die Entweihung der Welt in Malewitschs Schwarzem Quadrat vergegenwärtigt. Neue sakrale Visionen gelangen, so glaubt sie, Malewitschs Schüler Wladimir Sterligow (1904 bis 1973), dessen durchscheinende Farbfeldmalerei organischen Formen und einem überwirklichen Licht nachspürt. Sterligow und sein Kreis, dem das Kloster eine Ausstellung ausrichtete gehört zum Grundbestand der geplanten Kunstsammlung.



Kusma Petrow-Wodkin, Die Gottesmutter zähmt die niederträchtigen Herzen, um 1915

Die westeuropäische Kunst, insbesondere die erotische Bildsprache von Renaissance und Barock, hält Mütterchen Xenia, wie auch Martynow, für ein Krankheitssymtom. Daß die neuzeitliche Kultur Westeuropas einem Kult der Verliebtheit anheimgefallen sei, der nolens volens zur Sünde verführe, kann man auch in der Erbauungsschrift "Orthodoxe Zivilisation" aus dem gutbestückten Klosterbuchladen nachlesen. Spätestens Europas moralisch-
demographische Krise heute zeige, so der Autor, welch ein Irrweg das war.
Die Mitstreiterinnen von Mütterchen Xenia sind die Anmut selbst. Schwester Matrona, eine hochgewachsene Nonne mit blitzenden Mandelaugen, eskotiert die Gäste zu den komfortablen "Zellen" und bewirtet sie im Refektorium mit Pilzsuppe, Klosterbrot und Kohlsalat. Auf Milchprodukte und Fisch wird im Fastenmonat verzichtet. Fleisch gibt es nie. Russisch-orthodoxe Klöster kochen vegetarisch. Die Nonnen sieht man niemals müßig, aber auch nie gehetzt. Matrona, die vor ihrem Gelübde Tanja hieß, schwebt davon. Schwester Warwara, eine gertenschlanke Kuttenträgerin, führt durch den Klostergarten. Die Birnen-, Pflaumen- und Aprikosenbäume, die gerade beschnitten werden, sind Propfengewächse, erklärt die studierte Botanikerin mit den schmalen Madonnenhänden. Auf dem frostbeständigen Wurzelstock einer sibirischen Sorte sitzen Triebe, die üppigere Früchte tragen...
Im windgeschützten Beet von Kolomna gedeiht die Blüte der Nation. Schwester Anna ist diplomierte Philologin und studiert im Fernkurs Jura, mit dem Segen der Äbtissin. Schwester Warwara hat vor dem Biologie- ein Pädagogikstudium absolviert, denn die Nonnen unterrichten auch Problemkinder. Die zwei sind keine Einzelfälle. Um die zwanzig Kilometer vor der Stadt gelegene Ländereien  vorzuführen, schwingt Warwara sich in den klostereigenen Peugot. Fünf Schwestern melken dort zwanzig Kühe, pflegen die Kälbchen und zwei Pferde, stellen Butter und Käse her und lassen nebenher im Zellenhaus den "Immerwachen Psalter" nicht einschlafen.



Leonid Tschupjatow, Die Fürbitte der Gottesmutter schützt eine belagerte Stadt, 1941

Demütiger Dienst hält die Klosterwelt zusammen. Dabei würden die
Aufgaben, die Mütterchen Xenia ihren Nonnen stellt, nicht blind gehorsam erfüllt, erläutert Schwester Anna. Vielmehr wissen die Gottesfrauen, daß sie so ihre Seele retten, sagt sie, und daß die Äbtissin für sie betet. Angehende Nonnen teilen zunächst nur den Klosteralltag in Kolomna. Nach einer Probezeit, die einige Monate, aber auch etliche Jahre dauern kann, was die Klostermutter entscheidet, erhält die Novizin Kutte und Rosenkranz. Vor dem Nonnengelübde zieht sie ein weißes Gewand, ein symbolisches Totenhemd, an und legt sich, zum Zeichen ihres Abschieds von der Welt, flach auf den Kirchenboden. Der Eid der Nonne, immer jungfräulich, besitzlos und gehorsam zu sein, wird mit einem - heute nur noch angedeutetem - Haarschnitt, den der Bischof vornimmt, besiegelt. Sodann wird sie kanonisch eingekleidet, in "freudiges Schwarz", wie Schwester Anna sich ausdrückt, und bekommt ihren geistlichen Namen. Der kann auch männlich sein. Eine Nonne hat ja den Rang eines Engels und die sind bekanntlich geschlechtslos...
Was meine Mutter vollbrachte, als sie mich losließ, übersteigt weit meine Tugendtaten, erklärt Warwara glutvoll. Schwester Anna bringt das Verhalten auf ein Gleichnis aus der Insektenwelt. Bienen finden bei ihrer Nektarsuche selbst auf dem Misthaufen noch Blüten und erinnern sich später nur an sie, sagt Anna, nicht an den Schmutz. Fliegen sehen auch auf der Blumenwiese nur den Unrat, für Blüten sind sie blind. Nur der Mensch kann frei entscheiden, mahnt die Nonne, entweder der Fliege oder der Biene nachzueifern.