Ein schwerer Schlag für die Nervendämpfer

Verwirrten Menschen gibt man oft Neuroleptika. Vie- le sterben daran, wie sich jetzt gezeigt hat.

(von Nicola von Lutterotti, FAZ, 17, 2009)

Demenzkranke Menschen, die aggressiv werden, an Halluzinationen leiden, werden häufig mit Neuroleptika behandelt. Von einer solchen Therapie aber profitieren viele der Kranken nicht. Bei längerer Behandlung kann sie sogar zu einem erheblichen Anstieg der Sterblichkeit führen. Das geht aus einer neuen britischen Studie hervor.

Die Erkenntnisse des Alterforschers Clive Ballard (Foto unten) vom Wolfson King's College (Centre für Age Related Diseas) in London und seiner Kollegen kommen nicht ganz überraschend. Auch die Beobachtungen anderer Wissenschaftler nähren den Verdacht, daß moderne Neuroloptika den Patienten mit Altersdemenz eher schaden als nützen. Bislang ließ sich die Sicherheit der einschlägigen Therapie allerdings nur bedingt beurteilen, da die meisten Untersuchungen lediglich einen Zeitraum von wenigen Monaten überblicken.

  


Um diesem Manko zu begegnen, haben Ballard und die Kollegen den Einfluß einer mehrjährigen Anwendung von Neuroleptika bei 165 Alzheimerkranken mit de- menzbedingten Halluzinationen und Aggressivität getestet. Alle Teilnehmer wohnten in einem Pflegeheim und nahmen schon seit längerem Neuroleptika. Bei einem Teil der Demenzkranken führten die Forscher die bestehende Behandlung daraufhin fort, während sie bei den anderen Probanden, in der Vergleichsgruppe, die entsprechenden Tabletten mit Placebopillen austauschten. Wie die Autoren in der Zeitschrift "Lancet" berichten, waren in der Placebogruppe zwei Jahre später noch 71 Prozent der Pa- tienten am Leben, nach drei Jahren noch 59 Prozent und nach dreieinhalb Jahren weiterhin 53 Prozent. Bei den mit Neuroleptika versorgten Männern und Frauen lag der Anteil an Überlebenden demgegenüber zwischen einem Drittel und der Hälfte niedriger... Weshalb die Anwendung von Neuroleptika möglicherweise so viel häu- figer zum Tod führte, geht aus der Studie nicht hervor. Hirnschlag soll nicht gehäuft aufgetreten sein. Der aber wird als Ursache schon einige Zeit diskutiert.

   


Eine ebenfalls aus Großbritannien stammende, epidemiologische Erhebung, die eine Gruppe um Ian Douglas von der London School of Hygiene and Tropical Medicine jetzt veröffentlicht hat, ist der Frage nachgegangen, wie es um die Sicherheit der älteren Neuroleptiker im Vergleich zu jener der jüngeren Arzneigeneration - auch typische Neuroleptika genannt - steht. In einer nationalen Datenbank, die Informationen von gut sechs Millionen Krankenversicherten enthält, suchte man nach Personen, die im Vorfeld eines Hirnschlages wenigstens zeitweise Neuroleptika erhalten hatten. Wie die Forscher im "British Medical Journal" ausführen, entsprachen rund 7000 Männer und Frauen den von ihnen geforderten Kriterien. In den Analysen zeigte sich, daß die Schlaganfälle mehrheitlich während der Neuroleptikatherapie aufgetreteten waren und nur vergleichsweise selten in der behandlungsfreien Zeit. Riskanter als die An- wendung der herkömmlichen Neuroleptika erwies sich dabei die Einnahme der neu- eren Wirkstoffe. Besonders bedrohlich schienen diese für Demenzpatienten zu sein. Während der Behandlung mit den Antipsychotika erlitten sie dreieinhalb Mal so oft einen Hirnschlag als zu Zeiten ohne diese Mittel. Bei Patienten ohne geistigen Verfall war die Gefahr deutlich geringer, allerdings ebenfalls nicht vernachläßigbar...